Forderungspapier: Haftvermeidungsmöglichkeiten zur Tilgung einer Geldstrafe durch sozialarbeiterische und sozialpädagogische Angebote sind bundesweit zu erweitern!

Datum: 
2023-09-30 00:00:00

Der DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik e.V. und seine Mitglieder sehen mit wachsender Sorge eine Zunahme an Vermittlungshemmnissen in Einsatzstellen, die nicht zuletzt mit der fehlenden Passgenauigkeit von Arbeitsleistungen für zu einer Geldstrafe verurteilten Personen mit multiplen Problemlagen, die in desolaten Lebensverhältnissen leben, begründet ist.


Die Geldstrafe stellt mit ca. 85 % der Verurteilungen die Hauptsanktion im Erwachsenenstrafrecht dar. Sie wird in über 90 % der Fälle bezahlt und hat sich im Allgemeinen bewährt. Nur 2 % werden wegen Rückfalltaten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Allerdings muss festgestellt werden, dass eine zunehmend problematische Gruppe von zu Geldstrafen Verurteilten weder die Geldstrafe bezahlen noch mit Angeboten gemeinnütziger oder „freier Arbeit“ (vgl. Art. 293 EGStGB) erreicht werden kann. Die Zahl der Personen, die bundesweit Ersatzfreiheitsstrafen (EFS) durch gemeinnützige Arbeit abwenden sinkt: Von 32.500 Personen (2013), über 30.566 (2016) auf 21.174 (2019). Die Anzahl der vermiedenen Tagessätze fiel in den Jahren 2013–2019 um 30 %. Ausschließlich durch gemeinnützige Arbeit wurden 2013-2015 2,4 % der Geldstrafen getilgt, ein sehr geringer Anteil, der je nach Bundesland variiert, von 1 % in Bayern bis zu 4 % in Sachsen.


Der bisherige Ablauf der Geldstrafenvollstreckung sieht vor, dass bei Nichtzahlung zunächst auf Ratenzahlungsmöglichkeiten hingewiesen und die EFS angedroht, sodann angeordnet wird. Erst mit der Anordnung erfolgt der Hinweis auf die Möglichkeit, die Tilgung durch Arbeitsleistung abwenden zu können. Verfolgt der Verurteilte diese Möglichkeiten nicht, tritt die Ersatzfreiheitsstrafe an die Stelle der Geldstrafe. Die Verhängung von Geldstrafen erfolgt in bis zu 90 % der Fälle durch Strafbefehl nach §§ 407ff. StPO. Im Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 StGB“ ist nachzulesen, dass es sich bei den zu einer Geldstrafe verurteilten Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe ableisten müssten, um eine „randständige Personengruppe“ handelt, die „überwiegend (langzeit-)arbeitslos ist“, Sozialleistungen bezieht, (teils hoch) verschuldet ist und unter gesundheitlichen Belastungen leidet. Weiterhin ist zu lesen: „(…)neben Arbeitslosigkeit und Verschuldung zeichnet die Gruppe der zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe Inhaftierten nach den kriminologischen Untersuchungen vor allem häufig Isolation, Wohnungslosigkeit, eine fehlende abgeschlossene Schul- und/oder Berufsausbildung und Suchtprobleme aus“. Bei einem Strafbefehl handelt es sich um ein rein schriftliches Verfahren. Wie Mitarbeiter:innen unserer Mitgliedsvereine der freien Straffälligenhilfe vermehrt berichten, lesen Menschen, die wohnungslos sind, psychische Erkrankungen haben oder allgemein überfordert sind, Briefe häufig nicht oder holen diese erst gar nicht aus dem Briefkasten. Erschwerend kommt hinzu, wie vorliegende Forschungsergebnisse aufzeigen, dass eine individuelle Bemessung der Tagessatzhöhe aufgrund fehlender Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse der verurteilten Person häufig nicht erfolgen kann. Es ist davon auszugehen, dass die Tagessatzhöhe in den überwiegenden Fällen durch Schätzung der Einkünfte bestimmt wird. Trotz einer im Idealfall einkommensabhängigen Berechnung der Tagessätze, wiegt die Geldstrafte für verurteilte Personen mit niedrigem Einkommen tendenziell schwerer, als für solche mit mehr Einkommen. Im Grundsatz sieht § 40 Abs. 2 StGB vor, dass die Höhe der Geldstrafe sich nach dem Einkommen bemisst. Dies führt aber bei Personen, die am Existenzminimum leben zu besonderen Problemen, da sie weder etwas zur Begleichung der Geldstrafe ansparen noch ihren Lebensstandard absenken können. Die hier offensichtliche Ungleichbehandlung wurde bereits Mitte der 1980er Jahre mit der Aussage und in dem Buch „weil du arm bist, musst du sitzen“ kritisiert.


Zwischenfazit:

  1. Statistische Daten verzeichnen bei Personen, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, einen Anstieg.
  2. Zugleich ist ein Rückgang der Tilgungen von Geldstrafen durch Arbeitsleistung festzustellen.
  3. Verurteilte Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, sind von multiplen Problemlagen betroffen und befinden sich in desolaten Lebensverhältnissen. Viele von ihnen können täglich vier bis sechs Stunden gemeinnützige oder freie Arbeit nicht leisten.
  4. Die Verhängung einer Geldstrafe im Strafbefehlsverfahren berücksichtigt weder die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen in ausreichendem Umfang noch deren Lebenssituation.
  5. Die unzureichende Berücksichtigung der Einkommens- und Lebenssituation der Betroffenen führt zu einer Ungleichbehandlung.

Die Vollstreckung einer Geldstrafe, insbesondere durch einen Kurzstrafenvollzug, kann nicht gleichzeitig die multiplen Problemlagen der Klientel behandeln und sich den desolaten Lebensverhältnissen annehmen.

Die Probleme derjenigen, die nicht zahlen können, deuten auf eine soziale Aufgabe hin, welches nicht mit den Mitteln des Strafrechts zu lösen ist. Zahlungsunfähigkeit darf kein Grund für eine Inhaftierung sein.


Der DBH-Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik e.V. und seine Mitglieder fordern daher:

  1. Eine Änderung des Vollstreckungsablaufs. Die vom Deutschen Bundestag am 22.06.2023 verabschiedete Änderung von § 459e Abs. 2 StPO wird dahingehend begrüßt, dass bereits vor der Anordnung einer Ersatzfreiheitsfreiheitsstrafe die verurteilte Person auf die Tilgungsmöglichkeiten und Abwendung durch freie Arbeit hingewiesen wird. Dies ist unserer Ansicht nach nicht weitgehend genug und wird der hier dargestellten Problemlage nicht gerecht. § 459e Abs. 2 StPO ist dahingehend anzupassen, dass bei ausbleibender Zahlung der Geldstrafe die betroffene Person grundsätzlich vor Androhung einer Ersatzfreiheitsstrafe an eine Einrichtung mit entsprechendem Beratungs- und Unterstützungsangeboten der freien Straffälligenhilfe zu vermitteln ist, um den individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf zu ermitteln. Gleichzeitig sollte die Einrichtung durch die Vollstreckungsbehörde hierüber informiert werden, um proaktiv mit der verurteilten Person Kontakt aufzunehmen. § 459e StPO ist um einen Absatz 2a zu ergänzen, als notwendige Grundlage zur Übermittlung von personenbezogenen Daten an nichtöffentliche Einrichtungen.
  2. Die Sicherstellung eines flächendeckenden Netzes von Beratungseinrichtungen und gemeinnützigen Arbeitsstellen sowie deren finanziellen Absicherung.
  3. Eine Erweiterung von niedrigschwelligen Angeboten zur Ableistung einer Geldstrafe um sozialarbeiterische und sozialpädagogische Angebote, denn Art. 293 EGStGB sieht lediglich die Erbringung von Arbeitsleistungen zur Tilgung einer Geldstrafe vor. Diese, angesichts der im vorliegenden Forderungspapier hoch problembelasteten Personengruppe notwendigen Angebote, sollen durch nichtöffentliche Stellen erfolgen.
  4. Eine Anpassung von § 459f StPO, dahingehend, dass Zahlungsunfähigkeit eine unbillige Härte darstellt und die Vollstreckung der Geldstrafe unterbleibt. Weiterhin ist unbillige Härte auch bei Auftreten veränderter Lebenslagen (z.B. Verlust des Arbeitsplatzes) anzunehmen.


Die Forderungen sind nicht neu. Positive Beispiele lassen sich in Baden-Württemberg oder auch Schleswig-Holstein finden. Ziel muss es sein, eine bundesweite und damit flächendeckende Hilfe- und Unterstützungsstruktur für zu einer Geldstrafe verurteilte Personen mit multiplen Problemlagen und desolaten Lebensverhältnissen aufzubauen, die durch die bisherigen Verfahrensweisen und Angebote nicht erreicht werden. Soziale Probleme lassen sich mit dem Strafrecht nicht lösen!


Wir freuen uns über Anmerkungen und Kommentare zum Forderungspapier, um die weitere Diskussion fortzuführen!


Weitere Informationen: Wenden Sie sich bei Rückfragen, Anmerkungen und Kommentaren zum Positionspapier bitte an die Geschäftsstelle des DBH-Fachverbandes, Herrn Daniel Wolter, 0221-94 86 51 20, kontakt@dbh-on-line.de

 

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