Am 29. & 30. März 2022 organisierte die CEP mit Unterstützung des DBH-Fachverbandes in Köln, die Fortsetzung des expert Meetings zum Umgang mit gewalttätigen Extremisten in der Straffälligenarbeit sowie ein Seminar zu Radikalisierung und Rehabilitation in Köln.
Am 29. März 2022 nahmen 10 Delegierte aus verschiedenen europäischen Ländern an dem expert Meeting der CEP in Köln teil, um sich über die aktuelle Situation im Umgang mit radikalisierten Personen und gewalttätigen Extremisten in der Bewährungshilfe auszutauschen. Europäische Länder, die in den letzten Jahren von terroristischen Anschlägen betroffen waren, mussten sich vermehrt mit der Frage der anstehenden Entlassung und Rehabilitierung von zu terroristischen Straftaten verurteilten Personen auseinandersetzen. So wurde aus Tschechien berichtet, dass momentan 120 Personen mit Bezug zu einer extremistischen Straftat unter Bewährung stehen. Eine Herausforderung sei insbesondere der Umgang mit „ausländischen Kämpfern“ bzw. Rückkehrern, Jihadisten und Hooligans, die in Bezug mit einer rechtsextremistischen Straftat verurteilt worden sind. Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit erfolgt in Tschechien durch die Bewährungshelfer:innen selbst. Hierbei wird in einem multidisziplinären Team mit Vertreter:innen der Polizei, Staatsanwaltschaft, des Gefängnisses und der Einwanderungsbehörde zusammengearbeitet. Neue Herausforderungen werden im Umgang mit „Hasskriminalität“ sowie in der Unterstützung und Auswanderung von Rechtsextremisten in die Ukraine gesehen.
Für Schweden stellen Rekrutierungen und Radikalisierungen auf Internetplattformen eine neue Herausforderung dar. Ebenso habe die Vielfalt an Ideologien zugenommen, sodass eine Zuordnung zu bisherigen Strömungen wie „rechts“ und „links“ kaum noch möglich sei. Weitere Herausforderungen werden in der organisierten Kriminalität, im Linksextremismus und der Zunahme unterschiedlicher krimineller Netzwerke gesehen. Im Strafvollzug läge momentan der Fokus auf Inhaftierten mit rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Einstellungen. Beobachtet wird auch eine Zunahme an „Rückkehrern“ mit Familienangehörigen, die im Ausland in terroristischen Gruppierungen gekämpft haben.
In den Niederlanden gibt es dagegen kaum Verurteilte aus dem Linksextremismus. In den letzten zwei Jahren habe die Gewaltbereitschaft und Straftaten mit einem Gewaltbezug stark zugenommen. Nicht zuletzt wird eine Polarisierung durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie vermutet. Eine zunehmende Herausforderung sei der Umgang und die Kommunikation mit Ideologisten, die unter Bewährung stehen.
In Bulgarien gibt es kaum Verurteilte mit Bezug zu einer terroristischen Straftat, die unter Bewährung stehen. Dagegen habe der Anteil an Personen in der Bewährungshilfe zugenommen, die sich der Hooligan-Szene zugehörig fühlen. Gleichzeitig sei ein Zuwachs an Organisation im Linksextremismus zu beobachten.
Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden des expert Meetings, wie Bewährungshelfer:innen auf den Umgang mit den Personengruppen zum einen vorbereitet werden können und wie verurteilte Straftäter mit einem Bezug zu einer extremistischen und/oder terroristischen Straftat bei der Entlassung und Nachsorge unterstützt und begleitet werden können. Stigmatisierung und Ablehnung der Gemeinschaft oder Gesellschaft, seien hierbei eine große Herausforderung. Einig sind sich die Teilnehmenden darin, dass die Bewährungshelfer:innen für den Umgang mit Extremisten und Populisten empowert werden müssen. Eine weitere Herausforderung wird im Umgang mit Medien gesehen. Alle Vertreter:innen aus den verschiedenen europäischen Ländern bestätigten, dass die Bewährungshilfe und die Arbeit der Bewährungshelfer:innen in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt sein.
Am 30. März 2022 nahmen 22 Teilnehmende am dritten Seminar im Rahmen des HELP-Projektes teil. Der Schwerpunkt des Seminars lag auf die Entlassung von radikalisierten Personen und die Möglichkeiten der Rehabilitation aus dem Strafvollzug. Eva Massa-Arranz, Projektkoordinatorin bei der Europäischen Kommission des HELP-Projektes, informierte die Teilnehmenden über die letzte Phase des Projektes. Die Bausteine und bisherigen Ergebnisse des Projektes können der Präsentation entnommen werden.
Luisa Ravagnani, Professorin für Terrorismus und Internationale Kriminalität an der Universität Brescia (Italien), eröffnete das Seminar mit einem Vortrag zur Entlassung von gewalttätigen Extremisten aus dem Strafvollzug und deren Resozialisierung sowie Reintegration in die Gesellschaft. Sie zeigte nach der aktuellen Forschungslage die größten Herausforderungen in der Arbeit nach der Haftentlassung mit radikalisierten und/oder gewalttätigen Extremisten auf, insb. den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung, die soziale/familiäre Einbindung sowie Motivation zu Deradikalisierung. Ebenso erörterte Luisa Ravagnani das Problem einer doppelten Stigmatisierung aufgrund der Etikettierung als kriminell und extremistisch. In Italien kooperieren der Strafvollzug und die Bewährungshilfe mit zahlreichen Organisationen wie NGOs und religiösen Organisationen sowie Ehrenamtlichen (multi-agency approach), um radikalisierte und/oder gewalttätige Extremisten bei der Resozialisierung zu unterstützen. Die größten Herausforderungen bei der Entlassung bestehen in der Gestaltung des Übergangs sowie der Sicherstellung einer kontinuierlichen Unterstützung ohne Unterbrechung. Für Extremisten sei eine psychologische (Intervention), religiöse und spirituelle sowie soziale Unterstützung (soziales Netzwerk wie familiäre Unterstützung) wichtig.
Ion Durnescu, Professor an der Universität Bukarest, referierte im Anschluss, wie der Aufbau einer arbeitsfähigen Beziehung mit Extremisten in der Bewährungshilfe gelingen kann. Zentrale Faktoren sind hierfür: Rollenklärung, Empathie, Optimismus, Humor und Transparenz über die „Selbstauskunft“. Nach aktueller Forschungslage sind für die Proband:innen insb. Empathie und der sog. „Hoffnungsfaktor“ (Optimismus) entscheidend. Ebenso muss für die Proband:innen transparent dargestellt werden, wie mit Selbstauskünften umgegangen wird (z.B. Mitteilung einer neuen Straftat). In der Präsentation werden die einzelnen Faktoren weiter erläutert. Für eine vertrauensvolle und arbeitsfähige Beziehung mit Proband:innen ist das Erstgespräch entscheidend. Beispielhaft spielten Ion Durnescu und Robert Örell den Teilnehmenden ein Erstgespräch vor. Ion Durnescu betonte, wie wichtig zunächst der Aufbau einer arbeitsfähigen Beziehung mit Proband:innen sei, bevor über Auflagen und Weisungen der Bewährung sowie über den „Bewährungshilfeplan“ gesprochen wird.
Robert Örell, unabhängiger Berater und Co-Leader der RAN Arbeitsgruppe „Rehabilitation“, präsentierte aktuelle Herausforderungen und Trends im Umgang mit Rechtsextremismus im internationalen Kontext. Eine zunehmende und immer wichtiger werdende Herausforderung bestehe durch eine Vielzahl von Foren, Chats und Gruppen im Internet. Hier würde es deutlich einfacher gelingen, Personen zu rekrutieren, die eigene Ideologie und Materialien zu verbreiten. Ebenso würden die Grenzen in der Wahrnehmung, was virtuell und real ist, immer mehr verschwimmen und Verschwörungsideologien vermehrt Anhänger:innen finden.
Maarten van de Donk, Mitarbeiter bei RAN, präsentierte die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe Rehabilitation, die von Fachkräften und Wissenschaftler:innen in den letzten Jahren zum Umgang mit radikalisierten und/oder gewalttätigen Extremisten zusammengetragen worden sind. Die Empfehlungen der Arbeitsgruppen, insbesondere zur Verbesserung der Wiedereingliederung und Reduzierung eines Rückfallrisikos, können der Präsentation entnommen werden.
Prof. Dr. Ion Durnesu und Robert Örell stellten zum Abschluss das neue Projekt „EUTEx“ vor. Ziel von EUTEx ist die Entwicklung eines europäischen Rahmens für die Entlassung und Wiedereingliederung von extremistischen Straftätern und radikalisierten Personen im Strafvollzug, einschließlich zurückkehrender ausländischer terroristischer „Kämpfer“ und deren Familien. Anlass des Projektes ist die Tatsache, dass in europäischem Strafvollzug mehr als 1.000 inhaftierte Extremisten und Terroristen in den nächsten Jahren vor der Entlassung stehen. Allein in Frankreich befinden sich 454 Personen in Haft, die in Zusammenhang mit einer terroristischen Straftat verurteilt worden sind. Den Übergang und die Nachsorge nahtlos und strukturiert zu gestalten sei elementar, um eine mögliche Rückfälligkeit zu verhindern. Beteiligte Länder und Projektpartner sind Albanien, Deutschland, Frankreich, Kosovo, Österreich, Portugal, Rumänien, Spanien und Schweden. Weitere Informationen sind auf der Website von EUTex zu finden: https://www.eutex.eu/
Zum Abschluss präsentierte die CEP im Rahmen des HELP-Projektes 20-minütige Vodcasts zum Thema Radikalisierung und gewalttätiger Extremismus. Insgesamt wurden acht Interviews mit Expert:innen für Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus geführt, die demnächst auf dem CEP YouTube-Kanal veröffentlicht werden. Die Videos sind auf Englisch produziert und mit Untertiteln in 4 Sprachen versehen. Zum YouTube-Kanal der CEP: https://www.youtube.com/user/CEPProbation
Weitere Informationen sowie die Präsentation der Referierenden finden Sie auf der Webseite der CEP:
https://www.cep-probation.org/third-cep-seminar-on-radicalization-and-rehabilitation-presentations-available/