Vom 16. bis 18. April 2024 richtete die niederländische Bewährungshilfe den 6. World Congress on Probation and Parole in Den Haag aus. Mehr als 500 Personen aus 61 Ländern nahmen daran teil. Das diesjährige Thema lautete: "The future of probation an parole". Wie hat sich die Bewährungshilfe in den verschiedenen Ländern entwickelt? Was lässt sich aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen? Welchen neuen Herausforderungen müssen wir uns widmen? Mit diesen und weiteren Fragen konnten sich die Teilnehmenden in Rahmen von Vorträgen und Arbeitsgruppen auseinandersetzen.
Dick Schoof, Generalsekretär des niederländischen Ministeriums für Justiz und Sicherheit, eröffnete die Konferenz mit den motivieren Worten: "Wir können alle voneinander lernen". So unterschiedlich die Strukturen, Gegebenheiten, Entwicklungen und Wege in den Ländern auch sind, so verbindet doch alle das Ziel der Resozialisierung und Rehabilitation von Straftäter:innen. Mpho Tutu van Furth, anglikanische Priesterin, Rednerin, Schriftstellerin, Theologin, Künstlerin und aktuell Geschäftsführerin der Desmond & Leah Tutu Legacy Foundation, die sich weltweit gegen Rassismus und gegen jede Form von Diskriminierung einsetzt, stellte in ihrer Eröffnungsrede das Ubuntu-Prinzip vor: "A person is a person through another person. My humanity is intertwined with yours; to dehumanize you is to dehumanize myself."
Der zweite Kongresstag begann mit einer inspirierenden und emotionalen Rede von Yassin (ein ehemaliger Straftäter) von YOPE International, in der er alle Teilnehmenden aufforderte, Risiken einzugehen und neue Wege auszuprobieren, um das jetzige System der Bestrafung zu verbessern. Der anschließende Keynote Speaker Clement Okech, ehemaliger stellvertretender Direktor der Bewährungs- und Straffälligenhilfe in Kenia und derzeitiger unabhängiger Berater für Bewährungs- und Strafvollzugsreformen, beleuchtete den Wandel und die Loslösung vom englischen Kolonialrecht in Kenia. Er betonte dabei die Notwendigkeit von Wandel und Reformen in der Strafrechtspflege hin zu einem "besseren" System. Der Wandel sollte geprägt sein von den zentralen Werten "Integrität, Fairness, Vertraulichkeit, Verlässlichkeit, Professionalität und Achtung der Menschenwürde" und sich auf die Einleitung sowie Unterstützung von Veränderungsprozessen konzentrieren. Clement Okech erläuterte in seiner Darstellung auch die Aktivierung und Einbindung der Gemeinschaft als wichtigen Faktor in der Resozialisierungsarbeit. Zusammenfassend stellte er fest, dass (1) Afrika immer noch über ein reichhaltiges soziales Kapital mit seinen Familien- und Gemeinschaftsstrukturen besitzt, (2) nur sehr wenige Länder in Afrika momentan über alternative Sanktionen zum Freiheitsentzug verfügen, (3) die Bewährungshilfe in Kenia in den letzten Jahren ausgebaut und gestärkt werden konnte, (4) Kenia als Beispiel zur Etablierung alternativer Sanktionen in anderen afrikanischen Ländern dienen kann und (5) dass hierfür die Unterstützung von Entwicklungspartnern aus anderen Kontinenten notwendig ist. Die Präsentation von Clement Okech finden Sie hier.
Am dritten Tag präsentierte Shoji Imafuku, ehemaliger Generaldirektor des Rehabilitationsbüros des japanischen Justizministeriums, die "Declaration on the International Day for Community Volunteers Supporting Offender Reintegration" und forderte alle Teilnehmer:innen auf, diese zu unterstützen. Die vorgestellte Erklärung wird vom Ziel der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung geleitet, die darauf abzielt eine integrative Gesellschaft zu schaffen, in der "niemand zurückgelassen wird". So wird u.a. vorgeschlagen, einen Internationalen Tag für Community Volunteers zur Unterstützung der Wiedereingliederung von Straftätern:innen einzuführen. Den anschließenden Hauptvortrag hielten Prof. Ioan Durnescu, von der Fakultät für Soziologie und Soziale Arbeit der Universität Bukarest und Prof. Faye Taxman von der Schar School of Policy and Government at George Mason University (Virginia, USA) zum Thema "Probation around the world 2.0". Beide stellten die Global Community Corrections Initiative vor. Ziel der Initiative ist es, einen weltweiten Überblick über Herausforderungen und Trends in der Inhaftierung zu geben, zugleich aber Alternativen zum Freiheitsentzug weltweit zu sammeln und deren Ausbau zu unterstützen. Prof. Durnescu und Prof. Taxman verglichen den damaligen Stand der Recherche, veröffentlicht von Hamai und Kolleg:innen 1995 in "Probation round the world", mit aktualisierten Daten aus 20 Ländern sowie den USA auf Basis eines versendeten Fragebogens. Die Ergebnisse werden im Sommer in "The Routledge Handbook on Global Community Corrections" veröffentlicht werden. Das Buch gibt einen Überblick aus den beteiligten Ländern zu Aufgaben und Zielen der Bewährungshilfe, der Organisationsstruktur, Daten, Entwicklungen, technologischen Innovationen, Behandlungskonzepten sowie zukünftigen Herausforderungen. Die Autor:innen definieren dabei folgende globale Herausforderungen: (1) Einführung von community corrections als eigenständige Sanktion mit dem Schwerpunkt auf Resozialisierung und Rehabilitation, (2) Ausbau und Unterstützung einer auf Desistance orientierten Entlassung aus dem Strafvollzug durch Aufbau von Beziehungen und Beteiligung der Gemeinschaft, (3) Förderung einer fairen und gerechten Behandlung von Personen, die sich sowohl im Strafvollzug befinden als auch alternative Sanktionen erfahren und zuletzt (4) die Investitionen sowie Einbindung in und von Einzelpersonen, Familien und Gemeinden, sowie zivile Einrichtungen zur Förderung von Resozialisierung und Rehabilitation.
Am zweiten und dritten Tag gab es insgesamt 46 Sessions zu ausgewählten Themen, wobei jeweils 7 bis 9 Sessions parallel stattfanden. Eindrücke aus einigen Sessions:
Sessions 1.2.A und 1.2.B: Professional values and skills: the last frontier of "what works" in probation and parole
Mario Paparozzi von der University of North Carolina und William Burrell von Burrell Consulting LLC gingen in dem Panel der Frage nach, was sich in der Bewährungshilfe in den USA bewährt hat und wie sich Bewährungshilfe als Profession in den USA definieren lässt. In den USA sind ca. 90.000 Bewährungshelfer:innen in unterschiedlichen Behörden tätig. William Burrell stellte dar, wie sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten durch Qualifizierungen/Weiterbildungen, Entwicklungen von Standards sowie die Erarbeitung von Ehtikkodizes (z.B. Code of Ethics der American Probation and Parole Association) die Bewährungshilfe in den USA professionalisiert hat. Mario Paparozzi zeichnete die Entwicklung der letzten 40 Jahre in den USA von der Ansicht "nichts funktioniert außerhalb des Gefängnisses in der Resozialisierung" bis hin zum heutigen Stand evidenzbasierter Erkenntnisse als ein Grad der Professionalisierung und Qualitätssicherung in der Bewährungshilfe nach. Landesweit sind zahlreiche Programme und Strategien aus der internationalen "What works"-Literatur in den USA implementiert worden.
Session 2.7 Future Track: The impact of Artificial Intelligence on probation and parole:
Prof. Ioan Durnescu von der Universität Bukarest und Michel van Leeuwen vom Ministry of Justice and Security in the Netherlands luden die Teilnehmenden zu einer gemeinsamen Diskussion über die Frage ein, wie wir in der Bewährungs- und Straffälligenhilfe mit künstlicher Intelligenz umgehen sollen. Welche Auswirkungen kann die Entwicklung von AI für die Arbeit in der Bewährungs- und Straffälligenhilfe haben? Dass AI die Gesellschaft radikal verändern wird, ist wohl Common Sense, die Frage ist nur, in welche Richtung? In der Session waren sich alle einig, sich der Entwicklung von AI anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen, wie diese für die eigene Arbeit mit den Klient:innen genutzt werden kann. Es gilt ethische und moralische Fragen zu klären. Zugleich müssen wir kritisch hinterfragen, welche Aufgaben und Funktion AI haben kann und wie sich die Bewährungs- und Straffälligenhilfe im positiven Sinne verändern kann.
Session 3.2.A Societal value of the Dutch probation services:
Attila Nemeth & Anouk Visser von der Saxion University of Applied Sciences aus den Niederlanden präsentierten ihren aktuellen Forschungsstand zur Frage des gesellschaftlichen Nutzens von Bewährungshilfe in die Niederlande. Zur Entwicklung einer Typologie greifen die Forscher:innen auf eine Multimethodenstudie einschließlich einer sozialen Kosten-Nutzen-Analyse zurück. Das Forscherteam konnte hierbei auf sämtliche Fälle der niederländischen Bewährungshilfe zurückgreifen und die Daten mit den dazugehörigen Sozialdaten der Kommunen verknüpfen. Die Analyse der großen Datenmengen zeigt, dass die niederländische Bewährungshilfe einen erheblichen gesellschaftlichen Mehrwert hat. Sie senken nicht nur die Sicherheitskosten, sondern tragen auch dazu bei, den Personen in verschiedenen Lebensbereichen zu unterstützen und die Integration zu festigen. Damit zeigen die Forscher:innen einen Weg auf, den gesellschaftlichen Mehrwert der Bewährungshilfe auch finanziell dazustellen. Die Veröffentlichung des Berichts wurde für dieses Jahr angekündigt.
Session 5.1.B Georgia’s Crime Prevention and Probation System: Innovative approaches in Rehabilitation and Technologies:
Iason Nachkebia und Lado Kheladze von der Georgian National Agency for Crime Prevention, Execution of Non-Custodial Sentences and Probation präsentierten die technische Weiterentwicklung der Bewährungshilfe in Georgien und deren Impact auf die Rückfallquote. Die Rückfallquote der unter Bewährung stehenden Proband:innen in Georgien liegt zurzeit bei lediglich 6,6%. Dazu beigetragen haben folgende Entwicklungen: (1) Ausbau und niedrigschwelliger Zugang zu Restorative Justice und Täter-Opfer-Ausgleich-Programmen sowie Ausbau und personelle Stärkung der Mediationseinrichtungen, (2) Entwicklung und Ausbau von Rehabilitationsprogrammen für Proband:innen mit einem geringem Rückfallrisiko, (3) Entwicklung und flächendeckende Installation der sog. PROBBOX. Mit der PROBBOX wird Proband:innen unter Bewährung mit niedrigem Rückfallrisiko ermöglicht, anonym über das technische Gerät (eine Art Terminal), Rückmeldung zu möglichen Auflagen und Weisungen zu geben oder auch Zahlungen zu tätigen. Damit müssen die Proband:innen nicht Einrichtungen der Bewährungshilfe aufsuchen und können so einigermaßen anonym bleiben. Bisherige Forschungsarbeiten in Georgien haben gezeigt, dass das Aufsuchen von Bewährungshilfeeinrichtungen mit erheblichen Unannehmlichkeiten und Stigmatisierungen seitens der Proband:innen verbunden sind. Die PROBBOX wurde bereits 2009 eingeführt und war gerade zur Zeit der Corona-Pandemie eine sehr hilfreiche Unterstützung. Aufgrund schon seit länger bestehendem Personalmangel müssen nicht in allen Orten und Regionen entsprechende Büros der Bewährungshilfe vorgehalten werden.
Zum Abschluss am dritten Kongresstrag präsentierte Johan Bac, Generaldirektor der niederländischen Bewährungshilfe, Indonesien als das nächste Gastland zur Ausrichtung des 7. World Congress on Probation and Parole im Jahr 2026.
Abbildung 2: Foto von Daniel Wolter
Präsentationen, Dokumente, Bilder und weitere Unterlagen können hier heruntergeladen werden.
Das Programm finden Sie hier.
Kurzvideos der niederländischen Bewährungshilfe mit Eindrücken vom 6. WCPP: Tag 1, Tag 2, Tag 3
gez. Daniel Wolter, 23.04.2024