In einer gemeinsamen Erklärung von Fachleuten aus Kriminalwissenschaften und weiteren Disziplinen wird auf die sogenannte Edathy-Affäre und ihre Folgen hingewiesen. Dabei soll die Politik und die Fachöffentlichkeit auf die zunehmende Hysterie des Diskurses um Kinderpornographie, die mit unterschiedlichsten anderen Themen vermischt wird hingewiesen werden. Es wird dabei auch kritisch das öffentliche Schweigen von Fachleuten angesprochen. Der DBH-Fachverband hat diese Erklärung nicht unterzeichnet, sieht es aber als seine fachpolitische Aufgabe an, darüber zu informieren.
Erklärung:
"Keine weiteren Verschärfungen im Sexualstrafrecht
Die Affäre Edathy und die Folgen – eine gemeinsame Stellungnahme von Strafrechtlern, Kriminologen forensischen Psychiatern und Psychotherapeuten
1. Mediale Vorverurteilung
Sebastian Edathy hat legale Nacktfotos von Jungen gekauft. Der fundamentale Rechtsgrundsatz: „Keine Strafe ohne Gesetz“ hat die mediale Vorverurteilung nicht verhindert. Und die Unschuldsvermutung hat Strafverfolgungsbehörden nicht daran gehindert, voreilig Informationen an die Medien zu geben.
2. Ruf nach Ausweitung der Gesetze
Stattdessen werden jetzt Forderungen zur Ausweitung des StGB laut, wodurch Nacktfotos von Kindern zur Kinderpornographie hochgestuft werden sollen. Euphemistisch wird dies als „Schließen von Schutz- und Gesetzeslücken“ bezeichnet.
3. Folgen medialer Skandalisierung
Die mediale Skandalisierung zeigt Folgen: Polizei, Justiz, Vollstreckungsorgane und Psycho-Fachleute achten heute mehr auf das Medienecho als auf fachliche Arbeit. Bei Sexualdelikten kommt es längst nicht mehr auf Zahlen oder Steigerungsraten an; jeder Einzelfall wird ikonisiert.
4. Notwendigkeit interdisziplinärer Arbeit
Der Diskurs „über den sexuellen Missbrauch von Kindern" ist weit über sein Ziel hinausgeschossen. Deshalb ist eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit diesem Diskurs erforderlich. Ideologisierte Verallgemeinerungen machen die Lage von Geschädigten nicht besser; ihr Leid ernst zu nehmen bedeutet Geschädigte und Täter zu behandeln.
5. Fatales Schweigen der Experten
Die Risikogesellschaft ist auf Experten angewiesen: wenn diese versagen, werden Bürger unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt. Viele Experten verstummen aus Angst vor dem Verlust beruflicher und privater Reputation, vor öffentlichen und vor medialen Vorwürfen, man nehme das Leid der Opfer nicht ernst oder wolle Täter schützen. Mit diesem Schweigen wird der erregte Diskurs über Sexualdelikte immer mächtiger.
6. Gefahr einer Kriminalisierung der Jugendsexualität
Es steht zu befürchten, dass die gesamte Jugendsexualität durch öffentliche Skandalisierung und drohende Strafverfolgung kriminalisiert wird. Pädagogen in Heimen wissen nicht mehr, wie sie auf Fragen und Anliegen von Kinder- und Jugendlichen zu (einvernehmlicher) Sexualität reagieren dürfen. Groß ist die Furcht vor Medien und vor Konsequenzen durch Aufsichtsbehörden und Jugendämter. Allein der Begriff „Sexualpädagogik“ löst Assoziationen zu Heimskandalen der jüngeren Vergangenheit aus. Das behindert jede fachliche Debatte über den rechtlichen Auftrag, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – und dabei auch ihre Sexualität zu berücksichtigen.
7. Weitere Verschärfungen des Strafrechts sind deshalb nicht hilfreich."